Beckenboden: Anatomie, Funktion und Training

Eine Expertin verrät, warum die Beckenbodenmuskulatur für den Körper so wichtig ist

 

Beckenbodengesundheit und Blasenschwäche werden häufig in einem Atemzug genannt. Kein Wunder, denn der menschliche Beckenboden ist maßgeblich an der Kontinenz beteiligt. Ist Deine Beckenbodenmuskulatur also geschwächt, kann sich das mitunter auf Deine Blasengesundheit auswirken. Ständiger Harndrang und ungewollter Urinverlust können die Folgen sein. Aber wie genau sichert der Beckenboden eigentlich unsere Kontinenz? Wie ist er aufgebaut und wie kannst Du ihn gezielt trainieren? Auf diese und weitere Fragen rund um den Beckenboden hat Physiotherapeutin Kathrin Dötschel die Antworten.

 

  • Katharina
  • 7 min

Unsere Expertin für Beckenbodengesundheit: Physiotherapeutin Kathrin Dötschel

 

Bild der Physiotherapeutin Kathrin Dötschel

Als ausgebildete Physiotherapeutin und Expertin für Beckenbodengesundheit weiß Kathrin Dötschel ganz genau, welche Beschwerden ein schwacher Beckenboden verursachen kann – Blasenschwäche und ungewollter Urinverlust sind nur einige davon. In ihren Präventionskursen rund um den Beckenboden klärt sie deshalb Männer und Frauen über die unterschätzte Muskulatur im Beckenboden auf.

In diesem Artikel möchte sie auch Dir mehr über den Beckenboden, seine Anatomie und seine Funktionen verraten und Dich mit wertvollen Tipps zum Beckenbodentraining ausstatten.

Funktion und Aufbau des Beckenbodens

Liebe Kathrin, welche Aufgaben übernimmt der Beckenboden?

„Der Beckenboden übernimmt im Körper diverse Aufgaben und Funktionen. Zunächst stützt er die Organe. Während einer Schwangerschaft trägt der Beckenboden auch das Baby. Zudem sorgt er für eine aufrechte Körperhaltung und stabilisiert den Rumpf, da er sowohl mit der Rücken- als auch mit der Bauchmuskulatur verbunden ist. Was viele nicht wissen ist, dass ein gut funktionierender Beckenboden auch das Empfinden sexueller Aktivitäten positiv beeinflusst und diese unterstützt. Dies gilt für Männer und Frauen. Sprich: Wer einen gut trainierten Beckenboden besitzt, hat häufig auch mehr Vergnügen beim Sex.

Neben all diesen wichtigen Funktionen sichert der Beckenboden die Kontinenz. Er besitzt eine öffnende und verschließende Funktion, zeitgerecht und situationsangepasst. Er öffnet sich unter der Geburt sowie bei der Darm- und Blasenentleerung, wohingegen er in all den anderen Situationen verschlossen bleibt und die Kontinenz adäquat sichert. Zudem besitzt der Beckenboden eine reflektorische Verschlussfunktion. Diese ermöglicht es, die Kontinenz bei plötzlich erhöhten Drucksituationen zu wahren – wie es beim Husten, Niesen oder auch Springen der Fall ist.“

Überblick: Die Funktionen des Beckenbodens

  • Stützung der Organe

  • Stabilisation des Rumpfes

  • Sicherung der Kontinenz

 

Wie ist der Beckenboden aufgebaut?

„Der Beckenboden besteht aus drei übereinander gelagerten Muskelschichten und ähnelt vom Aussehen einer Schale, in welcher die Beckenorgane liegen. Er besteht aus Muskeln und Bindegewebe und schließt den Rumpf nach unten ab. Der Beckenboden spannt sich zwischen Schambein, Steißbein und den Sitzbeinhöckern. Du kannst diese knöchernen Punkte bei Dir selbst ertasten, um Dir die Lage besser vorstellen zu können.

Die äußere Schicht des Beckenbodens ist die Schließ- und Schwellkörpermuskelschicht. Diese verläuft achterförmig um die Körperöffnungen (ungefähr vom Steißbein zum Schambein) und kann willkürlich verschlossen werden. Um Dir dieser Schicht bewusst zu werden, kannst Du mit dieser Anleitung versuchen, sie sanft anzuspannen:

  • Anus verschließen

  • Scheide verschließen (als Frau)

  • Harnröhre verschließen

Diese sanfte Spannung kannst Du zunächst isoliert üben, um die einzelnen Punkte zusammen anspannen zu können. Kannst Du dies umsetzen, hebst Du nun den Beckenboden mit dieser sanften Spannung leicht nach innen oben an, in Richtung Deines Bauchnabels.

Die mittlere Schicht verläuft zwischen den Sitzbeinhöckern (vom einen zum anderen Sitzbeinhöcker) und verschließt vor allem den vorderen Bereich des Beckens, unterhalb der Blase. Die tiefste Schicht spannt sich zwischen dem Steiß- und Schambein auf und ist hauptverantwortlich für eine gut aufgerichtete Körperhaltung und trägt in Form einer Schale unsere Beckenorgane.“

Illustrierte Gegenüberstellung der Beckenboden von Mann und Frau

Wie unterscheiden sich die Beckenboden bei Mann und Frau?

„Grundsätzlich besitzt der Mann einen muskulöseren Beckenboden. Frauen hingegen verfügen über einen Beckenboden mit höherem Bindegewebsanteil. Dies ermöglicht eine höhere Flexibilität, welche gerade unter der Geburt sehr wichtig ist. Zudem deckt der Beckenboden der Frauen drei Körperöffnungen (Anus, Vagina, Harnröhre) ab, der Beckenboden der Männer nur zwei Körperöffnungen (Anus, Harnröhre). Da die untere Beckenöffnung bei Frauen zudem für Geburten größer ist, muss der Beckenboden einer Frau eine größere Fläche abdecken. Aus diesen Gründen leiden Frauen zum Beispiel öfter an einer Beckenbodenschwäche.“

 

Wusstest Du schon…?

Der Beckenboden von Männern besteht aus mehr Muskeln als der Beckenboden der Frau. Der weibliche Beckenboden hingegen hat einen höheren Bindegewebsanteil.

Beckenboden und Blasengesundheit

Warum fasziniert Dich der Beckenboden so?

„Das Thema rund um den Beckenboden hat mich bereits während meiner Ausbildung zur Physiotherapeutin sehr interessiert. Durch meine beiden Schwangerschaften musste ich jedoch erfahren, dass der Beckenboden sowohl während einer Schwangerschaft als auch im Anschluss kaum bis gar nicht thematisiert wird. Die wenigsten wissen, wo der Beckenboden liegt oder wie dieser in gewissen Alltagssituationen bestmöglich eingesetzt werden kann. Dabei ist das gerade in der Rückbildung sehr wichtig. Leider wird das Aktivieren des Beckenbodens oftmals immer noch mit dem Anhalten des Urinstrahls geübt, was während eines Toilettengangs nicht empfehlenswert ist. Wenige Frauen und Männer wissen, wie man den Beckenboden korrekt anspannt und einsetzt, was er ist und welche Funktionen er hat.“

Ich finde es faszinierend, den eigenen Körper im Rahmen eines Beckenbodentrainings neu kennenzulernen, indem der Fokus auch auf die Atmung gelenkt und diese aktiv im Training genutzt wird.

„Ein ganzheitliches Training sollte auch den Beckenboden mit einbeziehen, da dieser fälschlicherweise nicht nur für Schwangere eine große Bedeutung hat. Mich beeindruckt die Vielseitigkeit seiner Funktionen, was in mir den Wunsch erweckt, über dieses offensichtliche Tabuthema aufzuklären und es zu enttabuisieren.“

Wie beeinflusst der Beckenboden die Blase?

„Der Beckenboden ist nicht immer der Grund für eine Blasenschwäche, jedoch ist er oft daran beteiligt. Er sichert die Kontinenz und erlaubt es der Blase, in bestimmten und angepassten Situationen Urin abzugeben – oder diesen zu sichern, bis sich eine passende Situation ergibt. Ist dieser Mechanismus gestört, kann sich eine Inkontinenz einstellen.“

 

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Es gibt verschiedene Formen der Inkontinenz:

  • Bei der Belastungsinkontinenz ist der Beckenboden am Urinverlust beteiligt und zu schwach, um die Kontinenz zu wahren. Der Druck in der Blase übersteigt den Verschlussdruck des Beckenbodens.

  • Neben der Belastungsinkontinenz gibt es eine weitere wichtige Form, und zwar die Dranginkontinenz. Sie ist durch einen starken, nicht auszuhaltenden Harndrang gekennzeichnet, welcher mit einem unwillkürlichen Urinverlust einhergeht. Diese betrifft zwar weniger den Beckenboden, da das eigentliche Problem der Blasenmuskel darstellt, jedoch kann auch hier ein Beckenbodentraining hilfreich sein.“

Beckenbodentraining ist das A und O

Warum sollte man den Beckenboden trainieren?

„Es ist für jeden Menschen wichtig, den Beckenboden individuell zu trainieren. Training bedeutet hierbei nicht nur das Anspannen der Muskelschicht, auch das aktive und bewusste Entspannen und der reflexive Part eines Beckenbodentrainings sind hiermit gemeint. Selbstverständlich hat nicht jeder Probleme mit dem Beckenboden, jedoch kann jeder präventiv etwas Positives für seine Beckenbodengesundheit tun. So kannst auch Du beispielsweise Formen einer Inkontinenz oder einer Organsenkung vorbeugen, die Geburt durch das gezielte Einsetzen des Beckenbodens erleichtern oder Deine Lust steigern und verbessern. Da die Rücken- und Bauchmuskulatur eng mit dem Beckenboden zusammenhängt, kann ein Beckenbodentraining auch Schmerzen am Bewegungsapparat lindern.“

Ein modernes Beckenbodentraining beinhaltet ein Ganzkörpertraining mit Kraft- und Entspannungs- sowie Wahrnehmungsübungen. Deshalb ist es wichtig, ein Beckenbodentraining nicht erst zu starten, wenn Symptome auftreten, sondern ebenso präventiv mit einem Training zu beginnen.

Wie kann Physiotherapie dabei unterstützen?

„Es gibt speziell ausgebildete Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten, die Patientinnen und Patienten mit Dysfunktionen im Bereich des Beckens behandeln. Hierzu gibt es eine Therapeutenliste, der Du entnehmen kannst, wo Du solche Angebote auch in Deiner Nähe findest.

Physiotherapie kann bei vielen Beckenbeschwerden helfen, deshalb ist es wichtig, bei Problemen auf eine spezialisierte Physiotherapeutin/einen spezialisierten Physiotherapeuten zurückzugreifen. Während einer physiotherapeutischen Einzelbehandlung ist es möglich, sensibel und individuell auf die Patientin/den Patienten und seine Bedürfnisse einzugehen. Auch rektale und vaginale Untersuchungen sind in der Physiotherapie möglich.“

Welcher Sport ist gut für den Beckenboden?

„Das kommt ganz darauf an, ob Du Probleme mit dem Beckenboden und unwillkürlichem Urinverlust hast. Um herauszufinden, ob Du und Dein Beckenboden für bestimmte Sportarten bereit seid, kannst Du ein Beckenboden Check-up bei einer Fachfrau/einem Fachmann durchführen lassen. Wenn Du bei Sportarten mit hohen Belastungen (Joggen, Trampolin, etc.) einen Urinverlust feststellt, solltest Du das abklären lassen und nicht einfach so hinnehmen. Es kommt also immer auf die Rahmenbedingungen und Grundvoraussetzungen an. Ein paar Anhaltspunkte gibt es aber:

  • Prinzipiell stellen Sportarten mit starken Belastungen, wie es zum Beispiel beim Springen der Fall ist, eine hohe Anforderung an den Beckenboden dar. Insbesondere wenn dieser nicht bewusst aktiviert oder präkontrahiert (vorangespannt) werden kann.

  • Sportarten mit geringeren Belastungen oder auch mit viel Beckenbewegung sind hingegen beckenbodenfreundlich.

Wenn Du es schaffst, den Beckenboden in Deine Sportart zu integrieren, ist das super! Es sollte jedoch immer individuell entschieden werden, welche Sportart geeignet ist. Einer Frau, welche vor Kurzem erst entbunden hat, wird das Trampolinspringen oder Joggen beispielsweise nicht direkt empfohlen. Klar ist, dass hohe Belastungen den Beckenboden sehr beanspruchen, da dieser die Organe trägt, hält und die Kontinenz während der jeweiligen Druckerhöhung sichern muss. Sollte der Beckenboden in einer Sportart stark beansprucht werden, ist es ebenso wichtig, diesen am Ende des Tages auch mal bewusst zu entspannen.“

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Wem empfiehlst Du spezielle Beckenbodenkurse?

„Ich lege es jedem ans Herz, einen Beckenbodenkurs zu besuchen – egal, ob jung oder alt, Mann oder Frau. Gerade Schwangere und Frauen sollten in ihrem Leben zumindest einmal einen solchen Kurs belegt haben, um den Beckenboden wahrnehmen und situationsangepasst anspannen zu können. Denn gerade Frauen unterliegen einem hohen Risiko, an einer Inkontinenz zu leiden – vor allem aus anatomisch bedingten Gründen. Insbesondere nach einer Schwangerschaft oder mehreren Schwangerschaften und Geburten hat der Beckenboden eine enorme Belastung und Überdehnung erfahren. Zudem steigt im Alter das Risiko einer Organsenkung durch eine Beckenbodenschwäche.

Auch Männer sollten ihren Beckenboden aktivieren können – und das nicht erst, wenn es durch altersbedingte Veränderungen an der Prostata zu ungewolltem Urinverlust durch Blasenspeicher- oder Entleerungsstörungen kommt.“

Im Endeffekt bietet sich ein Beckenbodentraining für jeden an, denn spätestens durch den natürlichen Alterungsprozess kann es zu unerwünschten Symptomen im Bereich der Blase und des Beckenbodens kommen.

„Selbst eine einmalig besuchte Kursreihe modernen Beckenbodentrainings kann helfen, den Beckenboden aktiv in den Alltag mit einzubeziehen und natürliche Alterserscheinungen präventiv zu trainieren.“

Häufig gestellte Fragen

 

Der menschliche Beckenboden stützt die Organe und sorgt durch die Stabilisation des Rumpfes für eine aufrechte Körperhaltung. Außerdem sichert er die Kontinenz und sorgt durch eine öffnende und schließende Funktion für eine kontrollierte Blasen- und Darmentleerung.

Der Beckenboden besteht aus drei übereinander gelagerten Muskelschichten:

  • Die äußere Schicht ist die Schließ- und Schwellkörpermuskelschicht.

  • Die mittlere Schicht verläuft zwischen den Sitzbeinhöckern.

  • Die tiefe Schicht verläuft zwischen dem Steißbein und Schambein.

 

Leichte Beckenbodenübungen stärken die Beckenbodenmuskulatur und sichern damit eine gesunde Körperhaltung sowie die Kontinenz. Sportarten mit geringen Belastungen, aber intensiver Beckenbodenbeteiligung sind daher beckenbodenfreundlich. Sportarten mit starken Belastungen hingegen, zum Beispiel Springen, stellen eine hohe Anforderung an den Beckenboden dar und belasten ihn.